
Etwas in mir pulsierte nicht harmonisch. Seit Tagen empfand ich Melancholie, die mich zur Selbstreflexion einlud. Sofort begann ich mit dieser inneren Auseinandersetzung; denn wenn im Inneren Nebel herrscht, fällt es mir schwerer, die Sonne zu schätzen, die im Außen scheint. Und dort, in der Ecke, wo lange Zeit Frieden und Gelassenheit geherrscht hatten, entdeckte ich einen Keim der Traurigkeit. Wie war dieser Keim dorthin gelangt, ohne daß ich es bemerkte?
Die Tage verliefen wie Wochen, und die anfängliche Selbstreflexion führte mich zu Beispielen intensiven und selbstlosen DIENENS, die mir noch nicht bekannt geworden waren, in den Gestalten von Arnold von Brescia und Franz von Assisi. Im Kontrast zwischen ihren Einstellungen und meiner Selbstbezogenheit spürte ich den enormen Weg, den ich zurücklegen mußte. Ich fühlte mich, als stünde ich vor einem großen Spiegel, der jeden meiner vielen Fehler hervorhob. Die Traurigkeit war nicht mehr allein: Scham trat hinzu.
Dieser innere Zustand ebnete den Weg für einen kontemplativen Blick, dem eine tiefgreifende Erfahrung folgte. Überraschenderweise fiel es mir inmitten der Hektik des Alltags immer leichter, den Moment zu genießen, der zeitlos wirkte. Zuvor hatte ich auf der Suche nach einem Ausgleich versucht, die Intensität einiger Aktivitäten zu reduzieren, ohne den gleichen Erfolg. Dadurch erkannte und schätzte ich die erhaltene Hilfe umso mehr.
Auf dem Weg zur Arbeit, feststeckend in einem kleinen Stau, öffnete ich das Autofenster und bewunderte die Bäume, die Bewegung, den blauen Himmel von Brasília. Die angenehme Brise brachte einen Impuls mit sich, der sich in ein Gefühl der Erleichterung und Dankbarkeit verwandelte. In diesem Moment drangen diese Worte so leicht wie ein Kapoksamen in mein Bewußtsein: „Schaut Euch die Blumen auf den Feldern an!“
Dieser Satz stammt von Jesus und findet sich in einer Passage aus dem Buch „Jesus, die Liebe Gottes“, das ich zum Welttag des Buches am 23. April auf Facebook empfohlen habe. Der Verweis ist übrigens eine Folge dieses einfachen, aber bemerkenswerten Ereignisses. Als ich die Passage später noch einmal las, war ich von der darin enthaltenen Weisheit beeindruckt: Es ist ein Rat, der unsere Sicht auf die Welt verändern kann … Eine Lehre, die mit solcher Liebe weitergegeben wird, daß, wenn auch nur ein Funke Güte in der Seele vorhanden ist, dieser gewiß gestärkt wird.
Als ich meinen Blick auf unsere Umgebung richtete, auf die Menschen und Umstände, die uns in unserem komplexen Beziehungsgeflecht in ständigem Geben und Nehmen verbinden, vergaß ich Melancholie, Traurigkeit und Scham völlig. Ich fand diese vertrockneten, leblosen kleinen Pflanzen. Dort stand eine winzige Pflanze, sehr zart, aber in ihrer Einfachheit herrlich: Ich nannte sie Demut.
Von nun an beabsichtige ich, sie mit all meiner Liebe zu bewässern und diese Lehre Jesu fleißig in die Tat umzusetzen. Eine Lehre, die besonders notwendig ist angesichts der wachsenden Unempfindlichkeit gegenüber dem wirklich Schönen; angesichts der mangelnden Rücksichtnahme auf den Nächsten, auf die Natur und ihre Lebewesen; angesichts der abgenutzten Selbstachtung, wenn diese nicht in der Selbstentwicklung verankert ist.
Anders als ich dachte, brauchte ich weder so viel Erholung, noch lange Pausen oder ein unterstützendes Umfeld. Auch lange Spaziergänge zum Sonnenbaden oder radikale Ernährungsumstellungen waren nicht nötig. Als menschlicher Geist fehlte mir die intensive Erfahrung des gegenwärtigen Augenblicks.
Mit dieser umfassenden Erfahrung bleiben wir offener für Erlebnisse und Möglichkeiten, für Neues und Erkenntnisse. Wir schätzen das Privileg, hier auf dieser Erde zu sein und jeden Tag zu einem Meilenstein in unserem Leben zu machen. Wir blicken über den Schein und die Äußerlichkeiten hinaus und nehmen die Wunder wahr, die uns umgeben, die Schönheit in den Herzen anderer und den Reichtum von Beziehungen.
So zu leben bedeutet, das Gute in uns auf die reinste Art und Weise zum Vorschein zu bringen. Es bedeutet, die Wahrheit zu suchen und in der wunderbaren Schöpfung wohltätig und schützend zu handeln. Es bedeutet zu verstehen, daß das, was aus dem Geist kommt, flexibel und beweglich ist, und zu versuchen, diese Manifestationen nicht in allzu starre Konzepte zu pressen, die der Erfüllung im Wege stehen.
Diese häufigen Gaben von „Vitamin V“ stehen für die ständige Suche nach neuer Verbundenheit oder deren Erhalt, bis wir endlich geheilt sind. Vielleicht können wir dann das Leben aus einer neuen Perspektive sehen, viel umfassender, lebendiger und schwingender. Vor diesem weiten, sich ständig verändernden Horizont wird kein Platz für Egoismus und Eitelkeit sein, denn Dankbarkeit für das Geschenk des Lebens, des Friedens und des Glücks wird alles andere überwinden und jede Geste, jedes Wort, jeden Gedanken und jede Intuition zu einem Ausdruck der Liebe machen.
Antonio Carlos Calvache